»Ich wünsche mir ein offeneres Schulsystem.«

Kim Hubben ist es wichtig, trotz Vollzeitjob einen Einblick in den Schulalltag ihrer 14-jährigen Tochter Helena zu haben. Denn sie ist überzeugt: Auch auf weiterführenden Schulen brauchen Kinder Begleitung – allerdings eine ganz andere als in der Grundschule.

Text: Sandra Lachmann, Fotos: Shanice Allerheiligen

Der Weg zur Schule war für Familie Hubben schon immer kurz. Die Vorteile, die Kinder genießen können, wenn sie im eigenen Stadtteil zu Schule gehen, lagen für sie von Beginn an auf der Hand. »Diese Vorteile werden oft schon am Ende der KiTa-Zeit ersichtlich«, so Kim. »Man kann mit dem Kind beispielsweise schon mal an der Schule vorbeigehen. Und das Kind kennt in der Regel Freund*innen, die am gleichen Standort eingeschult werden. Meist kann es sogar angeben, mit wem es in eine Klasse kommen möchte. Das gibt Vorschüler*innen eine große Sicherheit.« 

Im Falle ihrer Tochter Helena gab es sogar schon vor der Einschulung Kontakt zur späteren Grundschule. »Wir hatten uns entschieden, dass Helena nicht frühestmöglich eingeschult wird, sondern noch ein Jahr länger im Kindergarten bleibt. Allerdings hatte sie zu diesem Zeitpunkt schon einen großen Drang, lesen zu lernen. Sie wollte das unbedingt und lag damit sowohl den Erzieher*innen als auch uns in den Ohren. Der Kindergarten hat sich dann mit der Schule ausgetauscht, weil wir alle nichts falsch machen wollten. Es gibt ja immer wieder den Hinweis, dass Kinder vor der Einschulung nicht schon intensiv lernen sollen, was eigentlich Stoff in der ersten Klasse ist.« KiTa, Grundschule und Eltern hätten dann gemeinsam konstruktive Lösungen gefunden, mit denen Helena ihrem Wunsch nach Lesen nachkommen konnte. »Auf diese Weise hatten wir schon früh Kontakt zur Grundschule und sind entsprechend zuversichtlich in diese Zeit gestartet.«

 

Weiterführende Schule für die Tochter, mobiles Arbeiten für Kim

Ihre ersten vier Schuljahre verbrachte Helena auf einer Ganztagsschule. »Auch dafür haben wir uns bewusst entschieden. Mein Mann und ich waren und sind beide voll berufstätig, daher hat dieses Modell für uns als Familie am besten funktioniert.«  Die Meinung einiger, dass ein Schultag bis 15 Uhr oder 16 Uhr in diesem Alter noch zu anstrengend sei, kennt Kim, teilt sie aber rückblickend nicht. »Die Erfahrung haben wir nicht gemacht. Helena hat sich immer sehr wohlgefühlt.«
 

Inzwischen besucht Helena die achte Klasse eines öffentlichen Bremer Gymnasiums. Hier endet der Unterricht deutlich früher als in der Grundschule. »Um 13.15 Uhr ist meist Schluss.« Mit Blick auf die Vereinbarkeit keine einfache Sache. Um die Situation etwas leichter zu machen, hat Kim vor drei  Jahren bei ihrem Arbeitgeber, der Bremer Straßenbahn AG, mobiles Arbeiten beantragt und arbeitet seitdem an einigen Arbeitstagen zur Hälfte im Homeoffice, um möglichst häufig zeitgleich mit ihrer Tochter zuhause zu sein. »Natürlich braucht sie keine Betreuung wie kleinere Kinder, sie weiß zum Beispiel selbst, wie man sich etwas zu essen macht. Mir geht es aber um emotionale Begleitung. Dass es jemanden gibt,  mit dem sie über den Schultag sprechen kann, dem sie Fragen stellen kann, wenn sie etwas nicht verstanden hat.« 

 

Schule und Pubertät – eine brisante Mischung

Mit dem Beginn der Pubertät kämen zudem neue Themen hinzu, die mit Selbstregulation und Disziplin zu tun haben. »In dieser Phase gehen Jugendliche den Weg des geringsten Widerstandes«, so die gebürtige Hamburgerin. »Da ist es bequemer, Netflix anzuschalten als Hausaufgaben zu machen. Und ganz ehrlich: Ich kann das verstehen. Wenn man mich fragen würde, ob ich lieber arbeiten oder frei machen würde, würde ich mich ja auch für freimachen entscheiden, obwohl ich meinen Job mag.«
 

»Ich vertraue den Entscheidungen meiner Tochter. Würde ich es nicht, würde sie mir auch nichts mehr anvertrauen.«
Kim Rebecca Hubben, Fachbereichsleitung Kundenbetreuung bei der Bremer Straßenbahn AG

Auch bei der Entscheidung für die weiterführende Schule lag es Kim und ihrem Mann am Herzen, keine große Distanz zwischen Zuhause und Schule zurücklegen zu müssen. Die Familie hat sich alle infrage kommenden Schulen angeschaut, die finale Wahl lag aber bei Helena. Ausschlaggebend für sie war vor allem, gemeinsam mit ihrer besten Freundin auf eine Schule zu gehen.  »Wenn es nach mir als Mutter gegangen wäre, wäre die Entscheidung vermutlich anders ausgefallen«, gibt Kim Hubben offen zu. »Aber ich möchte eben nicht, dass mein Kind jeden Morgen aufwacht und sich beschwert, an einen Ort gehen zu müssen, an den es gar nicht gehen will.« Auch sonst, so sagt sie, sei es ihr in der Beziehung zu ihrer Tochter wichtig, den Entscheidungen und dem Verhalten von Helena Vertrauen entgegenzubringen. »Ich glaube, das ist der einzige Weg, umgekehrt ihres in mich nicht zu verlieren.« 

Dieses Vertrauen und die daraus resultierende Offenheit ihrer Tochter sei zudem wichtig, um überhaupt noch mitzubekommen, was im Schulalltag so los ist. »Anders als noch in der Grundschule haben wir Eltern ja kaum noch Kontakt zur Schule. Corona hat das noch verstärkt, weil Treffpunkte wie Schulfeste weggefallen sind. Man kennt noch die Klassenlehrer*innen, vielleicht nochmal vereinzelt eine andere Lehrkraft, aber das Gefühl von Gemeinschaft gibt es nicht.« Dadurch ergebe sich natürlich auch die Gefahr, sich selbst kein Urteil zu Situationen bilden zu können und nur die Perspektive der Kinder zu hören. »Kinder sind natürlich nicht objektiv. Bei mir kommt dann vielleicht zuhause nur an, dass ein*e Lehrer*in blöd ist, weil sie ständig meckert. Dass die Lehrkraft aber vielleicht zurecht tadelt, weil mein Kind die ganze Zeit im Unterricht quatscht, weiß ich natürlich nicht.«


»Wer kontrolliert eigentlich die Qualität des Unterrichts?«

Die Zeit des Homeschooling in der Coronapandemie war für Kim in dieser Hinsicht aufschlussreich: »Zwangsläufig hat man etwas vom Unterricht mitbekommen. Und dabei auch festgestellt, wie unterschiedlich die Arbeitshaltung von Lehrkräften ist. Es gab durchaus den ein oder die andere, die sich in der ganzen Zeit nicht einmal digital gemeldet hat. Und nein, das waren jetzt nicht unbedingt die älteren im Kollegium.« 

Die Qualität des Unterrichts sei das, worüber sie und viele Eltern aus ihrem Bekanntenkreis sich aktuell am meisten Sorgen machen. »Wer kontrolliert die eigentlich? Wie kann sichergestellt werden, dass die Lehrkräfte, die viel geben und sich stark engagieren, nicht auffangen müssen, was andere Kolleg*innen nicht tun?« Mehr und besser bezahlte Lehrkräfte wären aus Sicht der BSAG-Mitarbeiterin dafür ein notwendiger erster Schritt. 
 

»Ich wünsche mir in Deutschland ein Schulsystem, in dem die unterschiedlichen Denkweisen und Fähigkeiten von Kindern Platz haben.«

Eine bessere personelle Versorgung würde zudem den Weg für individuelles Lernen freimachen. »Ich finde Noten grundsätzlich gut, als Orientierung. Aber das darf nicht alles sein, worum es geht«, sagt sie. »Ich wünsche mir in Deutschland ein Schulsystem, in dem die unterschiedlichen Denkweisen und Fähigkeiten von Kindern Platz haben.« Natürlich brauche man Grundfähigkeiten, Grundkenntnisse, so Kim weiter. Und auch durch die nervigen Sachen müsse man durch. »Aber ich sehe überhaupt keine Entscheidungsfreiheit in unserem Schulsystem. Gerade wenn man Kinder aus unterschiedlichen Kulturen, mit unterschiedlichen sprachlichen Kenntnissen, mit unterschiedlichen Erlebnissen zusammenbringt, wäre das so wichtig.«

Bislang würde Helena trotz der eher starren Verhältnisse an deutschen Schulen glücklicherweise noch Freude am Unterricht haben. »Es gibt ja auch immer mal wieder Highlights. Vor einiger Zeit beispielsweise eine Projektwoche zum Thema Rassismus und Diversität. Da konnten sich die Jugendlichen ziemlich austoben und haben am Ende auch ein Video gedreht. Solche Sachen machen ihnen natürlich Spaß.« Und eins habe sich bis heute bei Helena auch nicht geändert: die Leidenschaft fürs Lesen. »Wenn bestimmte Bücher im Deutschunterricht dran kommen, die sie vorher schon gelesen hat, ist sie jedes Mal sehr glücklich.«
 

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Arbeiten bei der BSAG

Seit 10 Jahren arbeitet Kim Hubben bei der Bremer Straßenbahn AG. Vor allem die Möglichkeit des mobilen Arbeitens ist für sie ein echtes Benefit. Wer bei der BSAG tätig ist, profitiert noch von weiteren Rahmenbedingungen: Schichtpläne sind beispielsweise rund um die Uhr über eine Mitarbeitenden-App abrufbar, das Personal in Bus und Bahn hat garantiert die Hälfte aller Wochenenden im Jahr frei, es gibt zahlreiche Maßnahmen zur Gesundheitsförderung (u.a. Betriebsarzt, Massagen, Hansefit), ein Betreuungsangebot für schulpflichtige Kinder in den Sommerferien und einiges mehr.

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