»Es geht um die Geschichten«
Sehenswürdigkeiten haben einen gesellschaftlichen Auftrag – daran bestehen für Dr. Henrike Hans keine Zweifel. Im Gespräch erzählt die wissenschaftliche Mitarbeiterin und Sammlungskuratorin der Museen Böttcherstraße uns, was ihren Arbeitsalltag ausmacht.
Text: Henry Ponty, Fotos: Jule Schlicht
Ich treffe Henrike vor dem Roselius-Haus im Herzen der Bremer Böttcherstraße. »Schon als Kind hat mich vor allem das Gewusel hier sehr beeindruckt«, erzählt sie mir. Wir betreten eines der ältesten Gebäude der Straße – die Grundmauern gehen vermutlich bis in das 14. Jahrhundert zurück.
Geboren ist die heute 35-Jährige in Fulda. Aufgewachsen ist sie im Speckgürtel Bremens – in Syke, um genau zu sein – ihr Studium und ihre anschließende Promotion absolvierte sie an der Universität Göttingen. Henrikes Schwerpunkte: Kunstgeschichte und Jura. Nach beruflichen Stationen im Kunstmuseum Basel und in der Neuen Galerie Kassel kehrte sie mit ihrer Familie schließlich zurück in den Norden und arbeitete zunächst in der Kunsthalle Bremen.
Seit letztem Jahr ist Henrike wissenschaftliche Mitarbeiterin und Sammlungskuratorin in den Museen Böttcherstraße. »Zu meinen Aufgaben gehört es, die Sammlung zu betreuen, Sonderausstellungen zu konzipieren, wissenschaftliche Anfragen zu beantworten und Besucherinnen und Besucher durch die Museen zu führen. Außerdem kümmere ich mich mit um die Ausleihe und Restaurierung der Werke«, beschreibt sie. Eigentlich habe sie einen klassischen 9-to-5-Job, werktags. Eigentlich. Es sei jedoch keine Seltenheit, dass Veranstaltungen wie eine Ausstellungseröffnung am Wochenende stattfinden oder eine Schulklasse sich für acht Uhr ankündigt.
Eintritt frei in Bremer Museen
Gut zu wissen: Die Sparkasse Bremen ist langjährige Förderin der Museen Böttcherstraße und ermöglicht Kindern und Jugendlichen ganzjährig den freien Eintritt. Aber nicht nur dort! Auch die Kunsthalle Bremen, das Focke-Museum, die Weserburg | Museum für moderne Kunst, das Universum Bremen (an jedem ersten Freitag im Monat), die Botanika (an jedem ersten Samstag im Monat, das Übersee-Museum Bremen (für Schulklassen) und das Hafenmuseum Speicher XI können alle bis 18 Jahre kostenfrei besuchen.
Zu den Museen Böttcherstraße gehören das Ludwig Roselius Museum und das Paula Modersohn-Becker Museum – die beide miteinander verbunden sind. Henrike führt mich noch durch die Sonderausstellung „Tausche Cranach gegen Monet“, mittlerweile wird im Museum schon die nächste Ausstellung „Luigi Colani und der Jugendstil“ aufgebaut.
»Ein Mikrokosmos für sich«
Für Henrike ist es vor allem die bunte Mischung aus Wohnungen, Büros, Kunst- und Kultureinrichtungen, Einzelhändler*innen und Tourist*innen auf kleinstem Raum, welche die Böttcherstraße für sie so einzigartig macht. »Das ist ein Mikrokosmos für sich, der so schon seit ungefähr 100 Jahren besteht. Hier lernt man immer wieder neue Menschen kennen, die unterschiedlicher nicht sein könnten«, schwärmt sie. Zu ihren Lieblingsterminen gehöre die regelmäßige Museumsführung für alle Menschen, die in der Böttcherstraße arbeiten und wohnen: »Dann trifft sich fast die gesamte Nachbarschaft bei uns. Nach einer exklusiven Führung durch die jeweilige Ausstellung lassen wir den Tag bei einem Glas Wein auf unserer wunderschönen Terrasse über dem Handwerkerhof ausklingen«.
Im Sommer sei es stets eine Herausforderung, sich durch die Scharen von Tourist*innen vor dem Glockenspiel zu kämpfen. Henrike erklärt mit einem Lächeln im Gesicht: »Dieses Luxusproblem wird mir immer wieder dann bewusst, wenn ich pünktlich um 13 Uhr zum Mittagessen verabredet bin«. Im Privaten ziehe es sie in die Böttcherstraße, um Freund*innen, die in Bremen zu Besuch sind, die Straße zu zeigen – ihre Freizeit verbringe sie sonst eher im Bremer Viertel.
Corona birgt auch Chancen
Henrike stellt regelmäßig fest, dass Besucherinnen und Besucher zwar die Böttcherstraße, nicht jedoch die spannende Geschichte hinter ihr kennen. »Ich merke, wie die Neugierde größer wird, wenn ich während einer Museumsführung beginne, von Ludwig Roselius zu erzählen. Der Kaffeehändler und Gründer der Bremer Firma Kaffee HAG ist verantwortlich für Böttcherstraße, wie wir sie heute kennen und schätzen. Es war seine Vision für Bremen. Was wir heute sehen, ist also keineswegs eine historisch gewachsene Gasse, sondern vielmehr ein Gesamtkunstwerk aus dem Beginn des 20. Jahrhunderts, in dem jeder Stein und jede Skulptur einen Zweck erfüllt.«, berichtet sie.
Durch ihr Engagement im Kunst- und Kulturbereich hat Henrike ein ausgeprägtes Wissen über Bremen und seine Sehenswürdigkeiten. »Beruflich wie auch privat entdecke ich in Bremen und Umzu gerne Neues – durch die Corona-Pandemie hat sich mein Blick auf die Highlights vor der eigenen Haustür und die tolle Natur rundherum nochmals intensiviert«, durfte sie im letzten Jahre mit Freude feststellen. Sie erklärt mir weiter, dass dieses Phänomen auch eine Chance für die Museen Böttcherstraße darstelle, die von den Bremer*innen neu entdeckt werden könnten. Alle Bremer*innen seien herzlich willkommen.
»Immer wieder Sagrada Familia und Louvre«
Bereist Henrike Städte wie Barcelona oder Paris, verschlage es sie jedes Mal zu den großen, touristischen Hotspots. Der Grund: »Ich bewundere die Markenzeichen einer Stadt und habe beispielsweise die Sagrada Familia und das Louvre sehr liebgewonnen. Außerdem sind es gute Anknüpfungspunkte im Plausch mit Freund*innen. An solchen Orten machen alle ähnliche Erfahrungen, über die man sich austauschen kann.« Trotzdem gehöre es für sie auch dazu, ohne Stadtplan eher versteckte Orte, wie besondere Cafés und Lokale, zu entdecken.
Für Henrike haben Sehenswürdigkeiten aber auch sehr wichtige, gesellschaftliche Aufträge. Ein gutes Beispiel dafür sei das Paula Modersohn-Becker Museum, das 1927 als erstes Museum weltweit dem Werk einer Malerin gewidmet wurde, um das Werk der Künstlerin bekannt zu machen.
Die inspirierende Atmosphäre in der Böttcherstraße würde Henrike nicht eintauschen wollen: »Es ist einfach schön, an einem Ort wie diesem arbeiten zu dürfen. Ich freue mich auf die nächsten Jahre voller Kunst und Menschen«.