Power-Duo verantwortet Prozessmanagement von Karl Gross

»Geteilte Führung« - bei diesem Stichwort werden immer mehr Fachkräfte hellhörig. Die Idee, sich die Verantwortung für ein Team und einen Aufgabenbereich zu teilen, passt zum Zeitgeist: Sie bricht mit dem traditionellen Verständnis einer Hierarchie, an deren Spitze Einzelkämpfer*innen stehen, und schafft neue Chancen für Gendergerechtigkeit, bereichsübergreifendes Arbeiten und Produktivität. Klappt das in der Praxis tatsächlich so gut wie es sich in der Theorie anhört? »Ja«, meinen Dr. Jenny Brettschneider und Dagmar Dause. Seit einem Jahr teilen sie sich beim Logistikunternehmen Karl Gross die Position »Head of Process Management«.

Text: Sandra Lachmann, Fotos: Shanice Allerheiligen

Ein mittelständisches Logistikunternehmen in Bremen, das auf mehr als 140 Jahre Unternehmensgeschichte zurückblickt – klingt im ersten Moment nicht unbedingt nach einem Ort, an dem es neue Führungskonzepte leicht haben. Doch es braucht nur wenige Gesprächsminuten mit Jenny und Dagmar, um zu merken: beim internationalen Speditions- und Logistikdienstleister mit Sitz in der Martinistraße erweist sich dieses Vorurteil als falsch. Hier reagierte die Geschäftsleitung mit Offenheit auf ihr vorgeschlagenes Experiment, sich eine Führungsposition zu teilen.

 »Die Stelle war neu zu besetzen«, berichtet Jenny, die bereits seit 2014 für Karl Gross tätig ist. Gestartet ist die Wahl-Bremerin im Marketing, seit 2018 verantwortet sie den gesamten Personal- und Ausbildungsbereich. Dagmar ist ihrem Arbeitgeber sogar noch deutlich länger treu - seit mehr als 20 Jahren. Die gelernte Speditionskauffrau war zunächst als Importleitung tätig, später studierte sie nebenberuflich Wirtschaftsinformatik in Bremerhaven und baute schließlich  die IT im Unternehmen auf und aus. 

 

»Es war uns schnell klar, wie viel Schnittmenge unsere jeweiligen Bereiche mit der ausgeschriebenen Stelle haben, und dass unsere Kompetenzen zusammengelegt gut abdecken, was dort benötigt wird“, so Jenny. »Wir haben dann erst einmal zu zweit über die Idee, die Stelle gemeinsam zu besetzen, gesprochen. Darüber, wie wir das aufteilen könnten. Und fanden schnell Gefallen an dem Einfall und konnten uns das auch auf persönlicher Ebene miteinander sehr gut vorstellen«, ergänzt Dagmar.

Jenny Brettschneider Bremen

»Unternehmen schreiben Führungspositionen für Tandems noch nicht aus.

Mit dieser Idee müssen sich die Anwärter*innen melden.« 

Dr. Jenny Brettschneider

Überzeugt suchten sie dann das Gespräch mit der Geschäftsführung, die beschloss, es einfach mal auszuprobieren. Dass der Weg, den Vorschlag selbst einzubringen, aktuell noch der erfolgversprechendste ist, darüber sind sich beide einig: »Unternehmen schreiben Führungspositionen für Tandems in der Regel nicht aus. Mit dieser Idee müssen sich die Anwärter:innen melden.«

 

Top-Sharing erweitert den Rekrutierungspool

Eine Situation, die sich aus Sicht von Esther Himmen von JOYntLEADING ändern sollte, wenn Unternehmen aktiv auf den Fachkräftemangel reagieren wollen. Ihre Top-Sharing-Interesse-Studie (2019) hat gezeigt: das Interesse an diesem Arbeits- und Führungsmodell ist groß – bei Frauen, aber auch bei Männern. »Es wäre eine gute Idee, als Arbeitgeber*in zu signalisieren, dass neben den klassischen Führungsmodellen und Karrierepfaden für Führungskräfte auch Top-Sharing  angeboten wird“, sagt Esther Himmen. »Damit ließe sich der Rekrutierungspool definitiv erweitern«. Wer Job- und Top-Sharing betone, spräche auch potenzielle Bewerber*innen an, die zuvor durch das klassische Auswahlraster für Manager*innen gefallen sind und sich deswegen nicht beworben haben. Weil sie beispielsweise kein Interesse (mehr) an einer klassischen Karriere haben, einzeln betrachtet vielleicht (noch) nicht alle geforderten Kompetenzen vollumfänglich erfüllen oder nicht in Vollzeit für eine Managerrolle zur Verfügung stehen wollen.

 

Mehr Arbeitsstunden für die Teams

Anders als bei vielen Fachkräften, die sich als Externe gemeinsam auf eine ausgeschriebene Stelle bewerben, ging es Dagmar und Jenny bei ihrer internen Bewerbung nicht um eine Stundenreduzierung. Das Job-Sharing führte ganz im Gegenteil zu einer Ausweitung ihrer Aufgabengebiete - ihre bisherigen Positionen behielten beide nämlich bei.

Die in Teilzeit arbeitende Jenny erhöhte ihre Arbeitsstunden und auch die jeweiligen Teams haben jetzt in Summe mehr Stunden. »Wir haben sowohl neue Mitarbeitende eingestellt als auch bei bereits vorhandenen Teammitgliedern Stunden aufgestockt. Dadurch konnten wir Aufgaben nochmal neu verteilen und uns den Freiraum schaffen, den wir für die neue geteilte Stelle brauchen.«

Und dann legten die beiden Frauen einfach los. Von Beginn an mit einer klaren Verabredung: Vertrauen und offenes Feedback ist das A und O. »Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit ist das Wichtigste, um solch ein Konzept erfolgreich umzusetzen«, sagt Dagmar. »Das war bei uns von Anfang an gegeben. Es braucht eine Art gegenseitiges Vorschussvertrauen – und dafür muss man Wertschätzung für den bzw. die andere mitbringen.«

 

Geteilte Führung braucht Zeit für Abstimmung

Was es außerdem bräuchte in solch einer Konstellation: Zeit für Abstimmung innerhalb des Führungs-Duos und innerhalb des gesamten Teams. »Genau darin liegt ja die große Chance eines solchen Modells« ist Dagmar überzeugt. »Es kommen Sichtweisen und Erfahrungen aus gleich zwei Bereichen zusammen. Das ist enorm fruchtbar und fördert immer wieder neue Ideen zutage.«

Dagmar Dause Bremen

»Es steht und fällt mit dem Vertrauen, das beide ineinander haben.«

Dagmar Dause
 

Für Besprechungen, so berichten Jenny und Dagmar, hätten geteilte Führungspositionen ähnliche Vorteile. »Entweder geht diejenige ins Meeting, deren Kompetenzen zum jeweiligen Thema besonders gut passen oder die zu den Teilnehmenden einen noch besseren Draht als die andere hat. Oder man setzt sich bewusst zu zweit in eine Runde. Gerade zu Beginn von Projekten ist es wichtig, verschiedene Sichtweisen an einem Tisch zu haben.« 

 

Man muss Erfolge als Teamleistung verstehen

Für die Kolleg*innen und ihre direkten Mitarbeiter*innen im Team sei inzwischen sehr klar, wer im Top-Tandem für welche Angelegenheit die richtige Ansprechpartnerin ist. »Und wenn nicht, ist das auch kein Beinbruch.« Für allgemeine Themen gibt es eine gemeinsam genutzte E-Mail-Adresse, bei administrativen Themen wie beispielsweise Urlaubsplanung seien natürlich beide ansprechbar. Kalender werden transparent gepflegt – nicht nur zwischen Dagmar und Jenny, sondern im gesamten Team. Pragmatische Methoden ohne überraschende Geheimnisse. Auf der arbeitsalltäglichen Ebene, so scheint es, ist so eine geteilte Führungsstelle weit weniger kompliziert als viele meinen.

Chancen und Herausforderungen lägen viel mehr im Bereich der persönlichen Weiterentwicklung. Es sei für sie ein riesiger Gewinn, betonen sowohl Jenny als auch Dagmar immer wieder, sich neben den fachlichen Angelegenheiten auch über Arbeitsmethoden oder den persönlichen Umgang mit Situationen auszutauschen.  »Das muss man aber wollen und aktiv fördern.«

Auf die Frage, für wen Top-Sharing das richtige ist, haben sie auch schnell eine Antwort: » Wer Spaß an gemeinsamer Arbeit mit anderen hat und Erfolge immer als Teamleistung versteht, ist in solch einem Führungsmodell gut aufgehoben.«


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