Medienkompetenz - Welchen Beitrag können Journalist*innen leisten?
»Medienkompetenz« - dieses Schlagwort taucht schnell auf, wenn Erwachsene besorgt über Youtube, TikTok und Co. nachdenken. Diese Kompetenz, so sind sich dann alle einig, muss bei Kindern und Jugendlichen dringend geschult werden. Aber wie gelingt das ganz konkret? Das haben wir David Koopmann, Vorstand der Bremer Tageszeitungen AG, gefragt.
Interview: Sandra Lachmann, Foto: Frank Thomas Koch
Herr Koopmann, wann würden Sie einen jungen Menschen als medienkompetent beschreiben? Woran zeigt sich das?
Der Begriff »Medienkompetenz« ist ja sehr weit gefasst. Auf der einen Seite geht es um den technischen Umgang mit Smartphone, Tablet und PC, andererseits um das, was dort in Apps und auf Webseiten geschieht. Ich denke aber, dass man diese Sichtweise auf klassische Medien erweitern muss: Wer steckt hinter einer Veröffentlichung, was wird mit der Veröffentlichung bezweckt? Was ist der Unterschied zwischen Angeboten der freien Presse im Verhältnis zu Inhalten in Social-Media-Angeboten z.B. von Unternehmen oder Regierungen? Ist der Absender unabhängig? Warum ist eine unabhängige Berichterstattung auch außerhalb der Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wichtig für unsere Gesellschaft und unsere Demokratie? Ich denke, ein junger Mensch ist medienkompetent, wenn er bewusst mit seinem Smartphone umgeht, wenn er recherchieren und einordnen kann, welchen Quellen er vertrauen und wie er sie nutzen kann.
Wie bei allen Bildungsthemen hängt die Medienkompetenz von Heranwachsenden eng mit ihrer sozialen Herkunft zusammen. Würden Sie mir zustimmen, dass daher die Schule der Ort sein muss, an dem Medienkompetenz vermittelt wird? Damit alle erreicht werden?
Ja, der Schule kommt hier eine große Verantwortung zu. Es reicht nicht, iPads zur Verfügung zu stellen, sondern auch die Inhalte für die digitalen Medien müssen stimmen.
Wieviel Knowhow zu diesem Thema steckt denn Ihrer Erfahrung nach in deutschen Lehrerzimmern?
Dazu kann ich nicht viel sagen, weil mir der Überblick fehlt. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es viele engagierte Lehrkräfte gibt, die sich fortbilden, aber auch viele, die hoffen, dass sie sich bis zu ihrem Ruhestand mit diesen Themen nicht mehr beschäftigen müssen, weil sie sich selbst diesen Medien nicht zuwenden.
Gemeinsam mit dem Zeitungsverlegerverband Bremen, dem Landesinstitut für Schule (Lis) sowie unterschiedlichen Medienpartnern organisiert der WESER-KURIER jährlich den »Medienfachtag«, an dem Medienmacher und Lehrkräfte über die Zukunft des Unterrichts und den Umgang mit neuen und klassischen Medien diskutieren. Der nächste findet am 20. Juni statt. Worum wird es gehen? Was beschäftigte Lehrkräfte derzeit besonders?
Nachdem in Bremen jede Lehrkraft und alle Schülerinnen und Schüler mit iPads ausgestattet sind, geht es nun darum, diese auch sinnvoll und praktisch einzusetzen. In den Workshops setzen wir daher Schwerpunkte zum Einsatz der Anwendungen, z.B. zur Nutzung von Schnittprogrammen für eigene Podcasts oder zum vernünftigen Notieren und Digitalisieren der Unterrichtsmitschrift. Unabhängig von den Endgeräten sind aber auch Basisinformationen gefragt, wie die Funktionsweise von sozialen Medien, Wissen über Algorithmen und wie grundlegende Recherchefähigkeiten, mit denen Lehrkräfte und Schülerinnen und Schüler in der Flut der Informationen des Internets Quellen nach Glaubwürdigkeit unterscheiden können. Redakteurinnen und Redakteure des WESER-KURIER haben sich bereit erklärt, in Workshops praktische Tipps zu geben und von ihrer Arbeit zu berichten.
Was tut denn der WESER-KURIER, um Kindern Freude am Lesen und Medienkompetenz zu vermitteln. Ist die Tageszeitung nicht nur etwas für Ältere?
Seit 2003 organisieren und realisieren wir das Projekt »Zeitung in der Schule«, kurz »ZiSCH«. Mittlerweile haben mehr als 70.000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene aus Bremen und umzu mitgemacht. Mit eigener Recherche erlernen sie spielerisch die grundlegenden Prinzipien, die einen medienkompetenten Menschen ausmachen. Die jüngste Idee, die wir für Kinder umgesetzt haben, ist die tägliche Seite mit Kindernachrichten in der Tageszeitung und im E-Paper. Anstoß war der erste Corona bedingte Lockdown, als wir in den ausgefallenen Osterferien für Unterhaltung in den Familien sorgen wollten. Die Seite kam so gut an, dass sie sich etabliert hat. Dort, wie auch in der wöchentlich erscheinenden WESER-KURIER-Kinderzeitung, werden aktuelle Nachrichten kindgerecht aufbereitet. So wird die Neugier aufs Weltgeschehen geweckt, den Kindern aber auch Orientierung geboten, beispielsweise, wenn sie mit Bildern vom Kriegsgeschehen in der Ukraine konfrontiert werden. Am 14. Juni findet der erste Bremer Medienschultag statt. An diesem Tag gehen viele Journalisten des WESER-KURIER für eine Doppelstunde in die Schulen. Wir sind auf diese Premiere gespannt.
Kinder und Smartphones - das ist noch immer eine Kombination, die Eltern Unbehagen bereitet. Sie sind selbst auch Vater. Wie gehen Sie mit dem Medienkonsum in ihrer Familie um?
Unser sechsjähriger Sohn nutzt einen CD-Player für Musik und einen alten iPod für Hörspiele. Den Internetbrowser haben wir deinstalliert. Manchmal nutzt er den iPod auch als Kamera. Wir achten darauf, dass er mit dem iPod nicht herumläuft und sich dauerbeschallen lässt. Ansonsten darf er am Abend rund um die Sandmann-Zeit etwas KIKA schauen, manchmal sonntags die Sendung mit der Maus. Den Umgang mit Mediengeräten zu reglementieren ist nicht immer leicht, denn wie viele andere, findet auch unser Kind Smartphones toll und wischt gewandt kreuz und quer.
Wagen wir mal einen Blick nach vorn: Wird Medienkompetenz irgendwann ein Schulfach sein und werden Journalist*innen künftig nicht nur in Redaktionen, sondern auch in Lehrerkollegien beheimatet sein?
Es gibt eine intensive Diskussion darüber, ob ein eigenes Schulfach nötig ist oder Medien- und Informationskompetenz fächerübergreifend vermittelt werden müsste. Ich halte vor allem für wichtig, dass es sich bei Medienkompetenz nicht etwa um ein Trendthema handelt. Vielmehr ist diese Kompetenz für junge Menschen grundlegend, um sich im Leben zurechtzufinden, sich eine eigene Meinung bilden zu können und sich kein X für ein U vormachen zu lassen. In den Lehrplänen muss verankert sein, dass die Schülerinnen und Schüler nicht nur auf die reale Welt da draußen – außerhalb von Elternhaus und Schule -, sondern auch auf die digitale Welt vorbereitet sein müssen. Je praktischer vermittelt werden kann, dass die Demokratie von Information, Meinungsfreiheit und Diskurs lebt, desto effektiver ist es. Momentan gibt es praktische Beispiele – siehe Russland –, an denen sich zeigen lässt, wie Desinformation funktioniert, auch im Jahr 2022. Gelegenheiten wie den Bremer Medienschultag sollte man nicht verstreichen lassen, um dem Nachwuchs zu zeigen, dass die Demokratie und die Meinungsfreiheit jeden Tag aufs Neue verteidigt werden muss.