Wie geht diskriminierungsfreies Theater?
Das AMS! Theater nutzte die coronabedingte Zwangspause, um sich neu zu strukturieren und die eigenen Privilegien zu hinterfragen. Nuria hat mit Lukas Röber, Mitglied des Vorstands, darüber gesprochen, warum es dem Theater wichtig ist, einen diskriminierungsfreien Raum zu schaffen und wie sie sich diesem Ziel nähern wollen.
Text: Nuria Fischer, Fotos: Wang Han-Chiao, Lissi Savin
Die Pandemie hat die Kulturszene hart getroffen: kaum Auftritte, selten Proben, wenig Einkommen, kein Communityleben. Das AMS! Theater nutzte die coronabedingte Zwangspause, um sich neu zu strukturieren und die eigenen Privilegien zu hinterfragen. Mithilfe von Förderprogrammen macht der selbstorganisierte Verein sich auf den Weg einen diskriminierungsfreien Raum zu schaffen, um ihr Kulturangebot für alle Menschen zu öffnen.
Das AMS! Theater wurde 2008 von Student*innen als hierarchiefreies Kollektiv gegründet. Die Leitidee des Vereins ist, Hemmschwellen und strukturelle Hindernisse zu nehmen, um Menschen die Chance zu geben, selbst Kultur zu gestalten und eigene Produktionen zu realisieren. Mittlerweile liegt der Fokus des Theaters vor allem auf Langzeitimprovisation.
»Der politische Beitrag von Kultur entsteht durch einen vielfältigen Dialog in der Kunst.«
Lukas Röber, Mitglied des Vorstands AMS! Theater
Improvisationstheater ist eine Kunstform, in der durch eine einzigartige Kommunikation zwischen den Spielenden besondere einmalige Momente entstehen. Keine Szene wird sich jemals wiederholen. Der Reiz liegt im Moment. Impro hat etwas Magisches, sowohl für die Spielenden als auch für das Publikum. Impro bedeutet auch, Menschen zusammenzuführen, Offenheit und Spontanität zuzulassen und zu erkennen, dass Kreativität in Kooperation zu unerwarteten Ideen führt. Das bedeutet allerdings auch, dass die Spielenden sich verletzlich machen. Um das zuzulassen, müssen sie sich wohlfühlen. Verstanden und gleichwertig fühlen.
Wenn improvisiert auf Themen, Diskurse und Charaktere reagiert wird, werden allerdings häufig Bilder widergegeben, die tief in unserer Gesellschaft verankert sind. Je nach Lebensrealität der Spielenden werden Menschen mit eingeschlossen, nicht mitbedacht oder womöglich sogar diskriminiert. Dies kann bei einem sehr homogenem Ensemble von der Verwendung immergleicher Vornamen über die Darstellung durchweg klassischer Familienkonstellationen bis hin zu stereotypischen Darstellungen von Minderheiten führen.
Diversität war daher schon immer ein Thema innerhalb des AMS! und wird durch die wachsende Community immer relevanter. Das Theater ist studentisch geprägt und dadurch relativ homogen, sowohl innerhalb der Spielenden als auch des Publikums. Der Verein möchte mehr Menschen, die gesamtgesellschaftlich weniger gesehen und gehört werden, den Möglichkeitsraum Bühne eröffnen.
Es ist der Anspruch des gemeinnützigen Vereins, einen Safe Space für alle zu schaffen. Der Zugang zu Kunst und Kultur ist oft mit Hürden verbunden. Um mehr Menschen Selbsterfahrung in der Kultur zu ermöglichen, möchte das AMS! einen Raum schaffen, in dem sich Menschen unabhängig von Hautfarbe, Herkunft, Gender etc. willkommen und wohlfühlen. Dazu müssen zunächst bestehenden Strukturen überprüft werden.
»Wir möchten ein diskriminierungsfreies Kulturangebot bieten, in dem möglichst viele Menschen ihre Stimme auf und neben der Bühne finden.«
Lukas Röber, Mitglied des Vorstands AMS! Theater
Es wurden schon mehrere Initiativen zum Abbau von Diskriminierungen auf den Weg gebracht: Der Verein nutzt gendergerechte Sprache, um nach außen und miteinander zu kommunizieren. Außerdem hat das AMS! ein anonymes Bewerbungsverfahren eingeführt. Durch das Weglassen von Name und Foto der Bewerber*innen soll Diskriminierung aufgrund von äußeren Merkmalen von vornherein ausgeschlossen werden.
Um finanzielle Hürden abzubauen oder zu minimieren. ist die Preisgestaltung von Eintrittsgeldern, Mitgliedsbeiträgen und Workshopgebühren gestaffelt. Durch die Möglichkeit einer Hospitanz bietet der Verein zudem kostenlose Angebote gegen Mitarbeit an.
Mithilfe einer Förderung des Senators für Kultur und des Konjunkturprogramms »Neustart Kultur« konnten weitere Schritte zum Abbau struktureller Hürden eingeführt werden. Der wohl wichtigste und kostenintensivste Posten ist die Einführung einer*eines Antidiskriminierungsbeauftragte*n. Als Ansprechperson für Entscheider*innen, Kursleiter*innen, Mitglieder und Teilnehmer*innen soll die Stelle zu einer offenen Kultur der Wertschätzung von Vielfalt beitragen. Bereits mehrere Workshops zur Sensibilisierung von Entscheider*innen, Trainer*innen und Lehrenden und zum Empowerment von betroffenen Spielenden wurden in den vergangenen Monaten durchgeführt und weitere sind geplant.
Warum ich euch davon erzähle?
Weil es zeigt, was möglich ist, wenn man will. Ein kleines Theater hat die Vorteile vielfältiger Stimmen auf der Bühne erkannt und übernimmt Verantwortung, um ein gerechteres Abbild der Gesellschaft zu zeigen. Es erkennt die Notwendigkeit und Vorteile diverser Perspektiven an, anstatt sich immer wieder um sich selbst zu drehen. Diversität wird in unserer Gesellschaft und Arbeitswelt bald kein nice to have mehr sein. Wir können diesen selbstorganisierter Kulturverein als Vorbild nehmen, um unsere Strukturen zu hinterfragen und Eigenverantwortung übernehmen, um ebenfalls die Zukunft gerechter zu gestalten.
Über die Autorin
In unserem Onlinemagazin widmet sich Nuria Fischer Projekten, Vereinen und Unternehmen in Bremen, die die Themen soziale Gerechtigkeit und Diversität verfolgen. Nuria will wissen: Wie prägt Vielfalt unsere Großstadt?